Am Mittwoch in der Karwoche werde ich die Chrisammesse im Dom in Graz mitfeiern. In dieser Eucharistiefeier weiht der Bischof die heiligen Öle. Nach dem Gottesdienst werde ich dann vom Öl für die Taufe und für die Krankensalbung Öl mitnehmen. Die Kirche hat diese Riten der Salbung aus dem Alten Testament übernommen.
Salbung als Zeichen von Würde, Salbung als Stärkung in Krankheit. „Da sagte der HERR: Auf, salbe ihn! Denn er ist es. Samuel nahm das Horn mit dem Öl und salbte David mitten unter seinen Brüdern. Und der Geist des HERRN war über David von diesem Tag an.“ Könige wurden ob ihrer Würde gesalbt. Auch der König von England wird bei seiner Krönung im Mai gesalbt werden.
Diese Salbung hat die Kirche übernommen, um die Würde eines jeden Menschen herauszustellen und zu betonen. Diejenigen unter uns, die getauft sind, wurden bei ihrer Taufe mit Öl gesalbt, damit ihre Würde sichtbar wird. Würde geben, Ansehen geben, damit der Mensch sich erheben kann, sich seiner Würde bewusst ist und würdevoll leben kann. Dafür tritt Jesus ein, dafür geht er am Karfreitag an Kreuz. Er bricht die alten Bilder auf, dass wir Menschen schuld sind an unseren Krankheiten. Die erste Frage der Jünger, als sie einen blinden Mann treffen lautet: „Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst oder seine Eltern, sodass er blind geboren wurde?“ Und Jesus antwortet ganz klar. Er sagt: „Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden.“ Das Leben soll sich an ihm entfalten. Die Heilkraft der Liebe soll sich an ihm zeigen. Die Selbstermächtigung des Menschen soll sich in ihm vollziehen. Damit er lebendig wird und damit die Menschen aus diesem kausalen Denken herauskommen, Menschen – Vorfahren oder man selbst – seien schuld an einer Krankheit.
Es geht nicht um die Frage der Schuld, sondern es geht um die Frage, wie gehe ich mit meinen Krankheiten, wie gehe ich mit dem um, was mir widerfährt. Jesus nähert sich dem blinden Mann mit einem Teig aus Speichel. Er berührt ihn wie bei einer Krankensalbung und schenkt ihm heilsame Zuwendung. Und als er vom Teich Schiloach zurückkommt, an dem er sich gewaschen hat, kann er sehen. Die Menschen und die Pharisäer fragten nur, wie ist das geschehen, und dann auch noch, typisch für Jesus, an einem Sabbat. Also dem Tag, an dem jede Arbeit verboten ist.
Jesus möchte unsere Blindheiten heilen, er möchte uns sehend machen. Sehend für die Möglichkeiten unseres Lebens. Sehend, damit wir über die Grenzen der Tradition und unserer Glaubenssätze hinweg sehen können. Sehend, damit wir frei für uns selber werden. Sehend, damit die Werke Gottes an uns offenbar werden. Wie Jesus es am Anfang betont. Sehend, damit die Werke Gottes an uns offenbar werden. Sehend, damit wir die Wirkkraft der Möglichkeiten der Heilung des eigenen Lebens erkennen. Das Leben, also Gott, hält viel mehr für uns bereit, als wir es oft sehen können. Diese Blindheiten des Lebens möchte Jesus heilen. Damit wir unser Leben ergreifen, uns mit ihm auseinandersetzen, auch wenn wir manchmal glauben, dass es da nichts zu heilen gibt.
Heilung ist immer möglich. Auferstehung ist immer möglich. Vielleicht nicht so, wie wir es uns vorstellen. Vielleicht nicht so, wie wir es gerne hätten. Aber das Leben ermöglicht uns immer einen Umgang mit dem Leben. Gott möchte uns helfen zu lernen, mit dem Leben umzugehen, damit wir weiter gehen können im Leben. Ja sagen lernen zu einer unheilbaren Krankheit. Ja sagen lernen zu einem zerbrochenen Lebensentwurf. Ja sagen lernen zum Tod eines geliebten Menschen. Ja sagen lernen zu meinen Grenzen und Möglichkeiten. Aber auch ja sagen lernen zu meinen Stärken, zu meinen Lebensmöglichkeiten, zu meinen Gaben und Aufgaben.
Blindheit heilen. Die leere Mitte, die sich hier in unsere Kapelle vor uns auftut, hält alle dies Möglichkeiten, Heilungen, Zusagen Gottes für uns bereit. Sie ist ohne Bild. Sie ist ohne „Es geht so oder so“. Sie ist ohne Schuldzuweisung. Sie ist leer. Und aus dieser Leere dürfen wir schöpfen und uns waschen wie der Blinde am Teich Schiloach. Überlassen wir uns den heilenden Möglichkeiten des Lebens. Sie möchten uns sehend machen für die Blindheiten, für die blinden Flecken, die uns am Leben hindern.
Überlassen wir uns in diesem Gottesdienst dieser leeren Mitte, aus der jeder und jedem von uns das Heil zufließen kann, das er oder sie braucht. Waschen wir uns in der leeren Mitte. „Da fragten ihn seine Jünger: Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst oder seine Eltern, sodass er blind geboren wurde? Jesus antwortete: Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden.“
Sascha Heinze SAC