Glauben wir an die Auferstehung? Glauben wir, dass wir nicht im Tod bleiben müssen? Glauben wir dem Zeugnis der Frauen, das wir gerade gehört haben? Oder bleiben wir lieber in unseren von Grabeswächtern bewachten Gräbern liegen? Da wir vielleicht die Möglichkeit der Auferstehung gar nicht kennen, nicht glauben, nicht vermuten, nicht hoffen? Da wir vielleicht glauben, unsere Gräber gegen jede Störung, gegen jede Unsicherheit, gegen jede innere Unruhe, gegen jede Auferstehung bewachen zu müssen? Unsere Gräber bewachen, sie von Grabeswächtern schützen lassen?
Wir haben gelernt uns in Sicherheit zu wiegen. Die Welt- und Wirtschaftsordnung nach dem zweiten Weltkrieg hat uns hier in Europa Sicherheit und Frieden, Wohlstand und soziale Absicherung gebracht. Sie hat nicht alle Ungleichheit beseitigt, aber es gab das Gefühl der Sicherheit. Einer Sicherheit, die uns Freiheit, und Möglichkeiten, die uns Entwicklung und Zukunftschancen eröffnet haben.
Doch – das merken zurzeit viele von uns – dieses Gefühl von Sicherheit und Zukunftschancen ist erschüttert worden durch die Krisen, die wir seit ein paar Jahren erleben. Sicherheit ist unsicher, Zukunft ist gefühlt weniger offen geworden. Es ist, als ob wir auf einmal in einem kollektiven und in individuellen Gräbern gefangen wären. Und diese Gräber werden von unseren Ängsten bewacht. Möglichkeiten scheinen weniger zu werden. Möglichkeiten für unsere Kinder, in eine stabile und gesunde Zukunft hineinwachsen zu können. Möglichkeiten der demokratischen und friedlichen Gestaltung unserer Gesellschaften. Möglichkeiten des sicheren Lebens durch genügend Einkommen, welches wir durch unsere Arbeit erwirtschaften. Möglichkeiten des Wohlstands, der uns unseren vertrauten Lebensstandard sichert.
Und heute feiern wir Ostern. Auferstehung! Die Möglichkeit neuen Lebens! Glauben wir das? Glauben wir, dass Auferstehung in die Möglichkeiten eines neuen, guten Lebens möglich ist? Denn es geht um ein gutes Leben für uns, für unsere Mitmenschen, für unseren Planeten.
Auferstehung? Neues Leben? Wie soll das gehen? Nicht, indem wir uns flüchten vor der Realität, nicht, indem wir uns den Herausforderungen verweigern. Auferstehung wird möglich, wenn wir uns der Wirklichkeit stellen. Der Wirklichkeit unseres Lebens, der Wirklichkeit unserer Gesellschaft und unserer Welt.
Viktor Frankl beschreibt es so: Er sagt über den Menschen: „Seine Wirklichkeit ist eine Möglichkeit, und sein Sein ist ein Können.“ So beschreibt er unsere Möglichkeit für den Umgang mit unserer Realität. „Unsere Wirklichkeit ist eine Möglichkeit, und unser Sein ein Können.“ Dies sagt aus, dass wir mit und in jeder Situation einen Umgang mit dieser Situation finden können. Wir sind nie gezwungen, eine Situation als unveränderbar stehen zu lassen. Wir können immer eine Einstellung finden, wir können immer eine Veränderung vornehmen, wir können immer einen Umgang, wie Frankl es nennt, finden.
„Möglichkeit“ und „Können“ sind die beiden wichtigen Wörter in diesem Satz. Möglichkeit und Können – trotz der Steine, die vor unserem Gab liegen. Möglichkeit und Können – trotz der Grabwächter, die darüber wachen möchten, dass wir uns nicht aus unserem Grab erheben. Wer sind diese Wächter an unserem Grab? Es sind die Wächter unserer Ängste vor dem Unsicheren, vor dem Neuen, vor der Entwicklung, vor der Veränderung, vor dem Fremden, vor der Zukunft, vor dem Krieg, vor dem sozialen Abstieg, vor dem Schmerz, vor dem Tod … Es sind die Wächter vor dem, was ich nicht kenne, es sind die Wächter der Vorurteile, die Wächter der Bequemlichkeit, die Wächter der Landesgrenzen, die Wächter des Nationalen, die Wächter der Heimat, die Wächter der Identität …
Hier setzt die Botschaft von Ostern, die Botschaft der Auferstehung an. „Und siehe, es geschah ein gewaltiges Erdbeben; denn ein Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat an das Grab, wälzte den Stein weg und setzte sich darauf.“ Und nun: das Grab ist geöffnet, Auferstehung ist möglich. Eine Erschütterung, eine Erkenntnis, ein Umdenken, ein Impuls des Lebens, eine Begegnung, eine Entängstigung, ein Engel, hat es geöffnet. Hier heißt es, „ein Engel des Herrn kam vom Himmel herab.“
Mit dem offenen Grab ist gleichzeitig die Auferstehung verbunden. „Der Engel aber sagte zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier; denn er ist auferstanden, wie er gesagt hat.“
Trauen wir uns, unsere Gräber zu öffnen, fürchten wir uns nicht, damit auch für uns neues Leben immer wieder möglich wird. „Unsere Wirklichkeit ist eine Möglichkeit, und unser Sein ist ein Können.“ Nutzen wir die Möglichkeit jedes Augenblicks, das Leben neu zu ergreifen. Wir haben die Möglichkeit, und wir haben das Können dazu. Wir können mit unserem Leben umgehen, in jedem Augenblick unseres Lebens. Erheben wir uns ins Leben. In unser eigenes; in das Leben unserer Partnerschaften und Familien; in das Leben unserer Gemeinschaften und Gesellschaften. Damit Leben für uns und für alle Menschen, neues Leben möglich wird.
Sascha Heinze SAC