Wir haben gerade wieder aus den mystischen Texten des Johannesevangeliums gehört. Mystisch deshalb, weil sie uns das Wesen des Menschen und das Wesen Gottes zeigen und es in eine intensive Beziehung setzen. Weil sie uns unser spirituelles und menschliches Leben mystisch, also erfahrungsbasiert deuten.
Die Apostelgeschichte hingegen nimmt Bezug auf die vorausgegangene Erfahrung der Himmelfahrt Jesu. Die Jünger kehrten vom Ölberg zurück, „gingen in das Obergemach hinauf, wo sie nun ständig blieben“, „sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern.“ Ein Lieblingsbild Vinzenz Pallottis, des Gründers meiner Gemeinschaft. Maria, versammelt mit den Jüngern, verbunden im Gebet.
Ich möchte dieses Bild überschreiben mit dem Satz: „Von der Sendung in die Sammlung, von der Sammlung in die Sendung“. In diese Bewegung hinein begeben sich die Jünger mir Maria. In diese Bewegung hinein ist Jesus immer wieder gegangen, um zu spüren, was Sendung und was Erfahrung, was Sammlung ist. Sendung und Erfahrung, die eingebettet sind in die Erfahrung des ewigen Lebens, welche die Kraftquelle für beide Bewegungen sein kann.
Ewiges Leben wird uns hier nicht beschrieben als das, was wir für gewöhnlich darunter verstehen, nämlich ein Leben nach dem Tod. Ewiges Leben wird uns heute von Johannes folgendermaßen beschrieben: „Das aber ist das ewige Leben: dass sie dich, den einzigen wahren Gott erkennen, und den du gesandt hast, Jesus Christus.“ Die Erkenntnis Gottes, die Erkenntnis Jesu Christi ist also das ewige Leben.
Kommen wir ins Staunen, sind wir überrascht? Spürt mal bei euch nach. – „Das aber ist das ewige Leben: dass sie dich, den einzigen wahren Gott erkennen, und den du gesandt hast, Jesus Christus.“ Und wann erkennen wir Gott? Wann erkennen wir Jesus Christus? Wenn wir uns selbst erkennen. Wenn wir uns selbst erkennen, wenn wir die Weisheit des Lebens lernen, wenn wir Erfahrungen von Weite, von Offenheit, von Nondualität, also von der Aufgehobenheit von Gegensätzen machen, wenn wir Geborgenheit, allumfassende Liebe, wenn wir Einheit von allem, und wenn wir vor allem Verbundenheit erleben. Dann erfahren wir Gott und Jesus Christus, den er gesandt hat. Denn genau darum geht es: Diese Erfahrungen in unserem Leben machen zu können und uns für diese Erfahrungen zu öffnen, damit aus dieser Sammlung Sendung erwächst.
Eine Lebensweisheit drückt dies so aus: „Sei du selbst, denn ein Original ist immer mehr wert als ein Kopie.“ Und Stefan Zweig schreibt einmal: „Wer einmal sich selbst gefunden hat, kann nichts auf der Welt mehr verlieren. Wer einmal den Menschen in sich begriffen hat, der begreift alle Menschen.“ Diese Weisheit drückt genau das aus, was Johannes in mystischer, in religiöser, in spiritueller, in biblischer Sprache und Erfahrung ausdrückt. Wer sich selbst gefunden hat, kann nichts auf der Welt mehr verlieren. Wer einmal den Menschen in sich begriffen hat, der begreift alle Menschen. Wer sich gefunden hat, wer den Menschen begriffen hat, der lebt in der Erfahrung ewigen Lebens. Der erfährt Klarheit und Geborgenheit, Verbundenheit und Weite, im Leben. „Das aber ist das ewige Leben: dass sie dich, den einzigen wahren Gott erkennen, und den du gesandt hast, Jesus Christus.“
Das ist die Aufgabe unseres Lebens. Immer wieder in die Sammlung zu gehen, wie die Jünger und Maria im Obergemach, um dann wieder in die Sendung zu gehen, genährt mit der Erfahrung ewigen Lebens. Der Erfahrung, des Begreifens des eigenen Menschseins, der Erfahrung des eigenen Gefundenseins. „Von der Sammlung in die Sendung, von der Sendung in die Sammlung.“ Wenn wir dieser Bewegung trauen, können wir im Leben vorankommen, damit wir ewiges Leben haben, heute, im Hier und Jetzt.
Sascha Heinze SAC