„Du stellst meine Füße auf weiten Raum – die Kraft des Wandels.“ So lautet der Titel des neuen Misereor-Hungertuchs.
Basis des Bildes ist ein Röntgenbild, das den gebrochenen Fuß eines Menschen zeigt, der in Santiago de Chile bei Demonstrationen gegen soziale Ungleichheit durch die Staatsgewalt verletzt worden ist. Der Selbststand und somit die Würde eines Menschen ist verletzt worden. Ein guter und sicherer Stand bedingt das Gefühl der eigenen Würde, die uns als Menschen trägt und uns innere und äußere Stabilität gibt.
„Du stellst meine Füße auf weiten Raum“, diese Erfahrung machte auch Jesus, nachdem er vom Geist in die Wüste getrieben, dort vierzig Tage verbrachte und vom Satan in Versuchung geführt wurde. Er verlässt die Wüste als geheilter und seiner Berufung bewusster Mann. Die Wüste wird seit jeher als der Ort beschrieben, in dem unsere intensiven Auseinandersetzungen mit dem Leben stattfinden. Die Wüste als der Ort, der uns zu Klarheit, zu einer inneren Ordnung und zu einer guten Beziehung mit uns selber und der Welt führt. Die Wüste ist aber zunächst der Ort der Auseinandersetzung. Der Ort, an dem die verschiedenen inneren vitalen Kräfte, die ungesehenen und ungeordneten Bedürfnisse und Leidenschaften, an uns ziehen und zerren und uns so oft in Bedrängnis und Chaos führen. Die Wüste als der Ort, an dem die Verletzungen, die Wunden und die ungesehenen inneren Konflikte aufbrechen und gesehen und geheilt werden wollen. Das Entscheidende ist, dass wir uns der Auseinandersetzung stellen, wenn sie sich einstellt. Dass wir uns diese Auseinandersetzung bewusst machen und den Wege der Auseinandersetzung bis zur Lösung gehen. Wenn wir dazu bereit sind, dann sind auch die Möglichkeiten hin zu einer Lösung aktiviert und geben uns die Chance, Schritt für Schritt voranzukommen. Das Evangelium nennt diesen Vorgang:
„Er lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm.“ Er lebte in der Auseinandersetzung mit dem, was ihn umtrieb, bedrängte und belastete, aber die Offenheit und die Bewusstheit, sich der Möglichkeit der Verwandlung zu stellen, ist ihm präsent und unterstützt ihn. Uns wird gesagt, dass Jesus vierzig Tage in der Wüste war. Diese Zahl möchte uns sagen: Wüste, Auseinandersetzung, Bewusstwerdung, Heilung und Verwandlung brauchen immer Zeit. Wie lange diese Zeit dauert, ist nicht vorhersagbar.
Nun dürfen wir uns sagen lassen, dass Zeit ein Faktor der Heilung und der Verwandlung ist. Zeit, die wir uns oft nicht zugestehen, Zeit, die wir meinen nicht zu haben, Zeit, die uns unsere Arbeitswelt oft nicht geben möchte. Jeder, der eine solche Zeit erlebt hat, weiß, wovon ich spreche. Unsere Aufgabe ist es, uns selbst und Menschen, die sich in Wüstenzeiten befinden, diese Zeit zu gewähren, sie zu bejahen und sie wohlwollend zu begleiten. Nach dieser Zeit, so das Evangelium, kommt die Zeit des Lebens, in dem wir das verwirklichen und leben können, was uns geschenkt worden ist.
„Nachdem Johannes ausgeliefert worden war, ging Jesus nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ Jesus geht und tut das was er als seine Berufung, was er als seine Sendung erkannt hat. Er verkündet das Evangelium, verkündet das Reich Gottes und ruft zur Umkehr auf. Einsichten, die er vielleicht in seiner Wüstenzeit gelernt und erkannt hat. Wüstenzeit möchte uns immer verwandeln. Sich diesem Prozess zu stellen ist, wie man heute so schön sagt, nicht immer „lustig“. Nicht „lustig“, aber notwendig, wenn wir aus unseren inneren Unstimmigkeiten, aus unseren Gebundenheiten und aus unseren Unklarheiten befreit werden wollen. Es gibt leider keinen anderen Weg, wenn wir im Leben wachsen und reifen und zu mehr Klarheit und Bewusstheit kommen wollen. Stellen wir uns also in dieser Fastenzeit bewusst dem, was in uns verwandelt und geheilt werden möchte, damit durch Leiden und Tod die Auferstehung auch für uns möglich wird. Auferstehung für uns, mitten im Leben.
„Du stellst meine Füße auf weiten Raum – die Kraft des Wandels“. Lassen wir uns auf weiten Raum stellen, damit dieser Raum in uns die Kraft des Wandels bewirken kann. Denn Wandel ist der Motor jeder Veränderung. In unserem Leben, im Leben einer Gesellschaft, im Leben der Welt. Uns dieser Möglichkeit zu stellen, sich auf sie einzulassen, auch wenn es schwer ist, ist eine der Hauptaufgaben unseres Lebens, um ganz Mensch werden zu können.
„Er lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm.“ Trauen wir dieser Verheißung und dieser Zusage, dass Gott, dass die positive Kraft des Lebens, uns auch durch die Wüste begleitet.
Ihnen und Euch allen einen schönen ersten Fastensonntag!
Sascha Heinze SAC