Lebensraum für Spiritualität und Begegnung

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Für alle Menschen

Ein interreligiöser Blick über den Tellerrand

Lang ist die Liste der provokativen Zeichenhandlungen Jesu: sein Umgang mit Zöllern, Sündern, Dirnen und Ausländern, seine Heilungen am Sabbat, sein Missachten der Reinheitsgebote usw.. Das Fass zum Überlaufen brachte aber seine Austreibung der Händler und Geldwechsler aus dem Tempel am Tag nach seinem triumphalen Einzug in Jerusalem. Diese letzte Provokation sollte wenige Tage später zu seiner Verhaftung und Hinrichtung als religiöser Aufwiegler führen.

Diese Handlung ist keine emotionale Kurzschlusshandlung, wie man meinen könnte, sondern eine wohlüberlegte, geplante Provokation. Der Evangelist Markus schildert es uns genau: Am Tag seines Einzuges in Jerusalem „ging Jesus in den Tempel und er besah ringsum alles, und spät am Abend ging er hinaus nach Betanien mit den Zwölfen. … Am nächsten Tag… ging Jesus in den Tempel und fing an, hinauszutreiben die Verkäufer und Käufer im Tempel; und die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler stieß er um … Und er lehrte und sprach zu ihnen: Steht nicht geschrieben: ‚Mein Haus wird ein Bethaus heißen für alle Völker‘? Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht.“ (Mk 11,11-17)

Jesus greift mit den Worten vom „Haus des Gebetes für alle Völker“ eine Vision des Propheten Jesaja auf (Jes 56,7), der mehrfach einem Heilsuniversalismus das Wort redet: Es gibt nur einen Gott; er ist der Gott aller Menschen und will, dass alle Menschen durch ihn zum Frieden und zum Heil finden.

Erste interreligiöse Konferenzen am Ende des 19. Jahrhunderts haben diesen Gedanken in die Gegenwart übertragen. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat auch die Katholische Kirche diesen Faden aufgegriffen. Das Engagement gipfelte im weltweit erstmaligen Gebetstreffen aller maßgeblichen Religionen der Welt in Assisi im Jahr 1986, das 20 Jahre später zum Ideengeber für unser Friedenszeichen der Religionen wurde. Weitere kleinere und größere Treffen waren die Folge, und besonders Papst Franziskus führt den begonnenen Dialog der Religionen in konsequenter Weise weiter.

Bei der Gestaltung unseres Friedenszeichens der Religionen durch den burgenländischen Künstler Thomas Resetarits war es uns wichtig, mitten unter den Stelen, die die verschiedenen Religionen der Welt repräsentieren (als Vorgabe dienten die 12 Religionsgemeinschaften, die sich im Jahr 1986 auf diesen gemeinsamen Prozess in Assisi eingelassen haben), auch Platz zu lassen für alle übrigen Menschen, die nicht in einer dieser Religionsgemeinschaften abgebildet sind. Als Anstoß diente dabei die Erfahrung des Apostels Paulus in Athen, der unter den vielen Tempeln der Griechen auch einen Altar mit der Aufschrift „einem unbekannten Gott“ entdeckt hatte. An diese Entdeckung anknüpfend begann Paulus vor den Athenern seine Predigt vom Gott und Vater Jesu Christi (Apg 17,23).

„Alle Gott suchenden Menschen“ war daher auch die erste Fassung der Aufschrift bei der Mittelstele des Friedenszeichens. Doch schon bald wurde uns klar, dass das zu kurz griff. Wenn Gott alle Menschen zum Frieden und zum Heil führen will, dann eben nicht nur die, die bewusst nach ihm suchen, sondern bedingungslos alle. So stand dann bald die Mittelstele des Friedenszeichens, die ohne Symbol einer konkreten Religionsgemeinschaft geblieben war, stellvertretend für „alle Menschen“. Bestätigung fand dieser Ansatz, als Papst Benedikt XVI. im Jahr 2011 – 25 Jahre nach 1986 – wieder zu einem Treffen nach Assisi einlud. Diesmal aber nicht nur Vertreter der verschiedenen Religionen, sondern bewusst auch Atheisten.

Der Gedanke des Dialogs der Religionen wurde mittlerweile auch von der UNO aufgegriffen, die seit 2010 jede erste Februarwoche zur „World Interfaith Harmony Week“ bestimmt hat. Zufall oder nicht, jedenfalls wird damit an eine Tradition angeknüpft, an die vom Ökumenischen Rat der Kirchen bereits im Jahr 1909 ins Leben gerufene „Weltgebetswoche für die Einheit der Christen“, jeweils vom 18. – 25. Jänner. In Österreich wird der vorausgehende 17. Jänner seit dem Jahr 2000 als Gedenktag an die jüdischen Wurzeln unseres Glaubens, als „Tag des Judentums“ gefeiert.

Auch im Haus der Stille bemühen wir uns seit einigen Jahren, diese Zeit zwischen Weihnachten und Fastenzeit als Zeit des bewussten Blicks über den katholischen und dann über den christlichen Tellerrand hinaus ins Bewusstsein zu holen und zu gestalten. Meist stellten wir für diese Zeit die Menorah, den siebenarmigen Leuchter in unsere Franziskuskapelle.

 

Beim Liturgietreffen im November 2021 kam die Idee auf, für das Jahr 2022 nach Weihnachten das Friedenszeichen der Religionen „in die Kapelle zu holen“. Groß und fest gefügt in Stein, wie es beim Zugang zum Haus steht, ist so eine Idee wohl nicht buchstäblich umzusetzen, aber im weiteren Verlauf wuchs die Idee, es in einer „leichteren“ Form zu versuchen. Als Druck auf weißem Stoff steht, hängt, schwebt… nun die Mittelstele des Friedenszeichens mit ihrer Zuordnung für „alle Menschen“ vor einem von der Decke abgehängten Leinentuch an der Frontseite der Kapelle, wo sonst das Franziskuskreuz hängt. Die Symbole der 12 übrigen Stelen des Friedenszeichens hängen nun als gerahmte Bilder an der Rückwand der Kapelle, wo viele Jahre lang 14 einfache Holzkreuze (noch aus der ursprünglichen Kapelle der Schwestern des Marienklosters Rosental) an den Kreuzweg Jesu erinnert hatten. Sie waren bei einer Ausmalung in den vergangenen Jahren abgehängt und seither nicht wieder montiert worden. Schon länger gab es die Idee, an ihrer Stelle die Symbole der Religionen sichtbar zu machen.

So ist nun die Franziskuskapelle für diese Übergangszeit zwischen Weihnachten und Fastenzeit ganz bewusst und sichtbar ein „Haus des Gebetes für alle Menschen“ – und das durchaus in der Doppelbedeutung dieses Wortes: Alle Menschen, unabhängig davon, ob sie einer Religion angehören und welcher, sind in diesem Raum willkommen und eingeladen, in der Stille für sich und ihr Leben den Frieden zu finden. Aber auch andersherum: jeder Mensch, der hier betet, ist eingeladen, zugleich für alle Menschen, wo immer sie auf dieser Welt leben, und ihre großen Sehnsüchte und ihren tiefen Wunsch nach Frieden zu beten.

Hans Waltersdorfer

Ich sehne mich nach einer Auszeit

Die ruhige Lage und die Atmosphäre des Hauses laden ein zu heilsamer Stille

Echo der Stille

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