Wenn wir nun mit dem Einzug Jesu in Jerusalem die Karwoche beginnen, dann beginnen wir, uns in das tiefe Geheimnis Jesu Christi zu begeben. Wir begeben uns hinein in die zwei Naturen seines Wesens. In seine menschliche und in seine göttliche. Dass wir heute hier zusammen sind und uns an Jesu erinnern, hat damit zu tun, dass seine Göttlichkeit erkannt wurde.
Über den irdischen, den historischen Jesus wissen wir sehr wenig. Was auch nicht schlimm ist, und was der Botschaft über ihn und von ihm keinen Abbruch tut, im Gegenteil. Denn es zeigt, dass seine Botschaft eine Gültigkeit und eine Wahrheit besitzt, die über das Historische hinausgeht. Denn die Worte Jesu haben archetypische Kraft, noch mehr, sie haben mythische Kraft. Mythen sind Geschichten, die sich täglich, damals wie heute ereignen.
Die Geschichten, die wir in diesen Tagen hören, möchten uns, am Beispiel Jesu, unser Leben deuten. Es sind die Geschichten des bewussten Annehmens, des bewussten Zugehens und des bewussten Umgehens mit Leid und Tod. Es ist das bewusste Gehen des eigenen Weges, das bewusste Umgehen mit der eigenen erkannten Wahrheit, auch wenn es tödliche Konsequenzen hat.
Wenn wir es also schaffen, an diesen Geschichten und Ereignissen im Leben Jesu unser Leben zu deuten, dann können diese auch ihre Kraft und ihren Sinn entfalten. Wenn sie das schaffen, dann können sie eine Hilfe für unser Leben sein. Die Geschichten und Ereignisse, die uns dieser Tage vorgetragen werden, zeugen von den beiden Naturen Jesu, seiner menschlichen und seiner göttlichen. Denn nur deswegen glauben wir immer noch an ihn, nur deswegen hat seine Botschaft religiöse Bedeutung.
Die Lesung aus dem Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Philippi zeugt in besonderer Weise davon. Sie zeigt uns, dass Göttliches und Menschliches sich nicht ausschließen, nicht in Jesus, dem Christus, und auch nicht in uns selbst. „Christus Jesus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein“. So beginnt Paulus seinen Brief.
Gemeint ist hier der kosmische Christus, von dem im vergangenen Jahrhundert vor allem der Jesuit Pierre Teilhard de Chardin spricht. Dieser kosmische Christus, also die göttliche Wirklichkeit, die alles durchdringt und belebt, „entäußert sich“ und wird ein sterblicher Mensch. Er verwandelt unser Menschsein hinein in die Freiheit der Kinder Gottes, wie Paulus es an anderer Stelle beschreibt. Diese Freiheit nennt er „Gehorsam“. Er „war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“
Er ist dem Leben nicht ausgewichen, er hat sich dem Leben gestellt, so wie es auf ihn zukam. Er hat dem Leben Antwort gegeben und hat es verantwortet, vor sich und vor Gott. Er hat versucht, mit dem Leben umzugehen und ist nicht vor dem Leben davongelaufen. Und darum, so Paulus, „darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen.“
Durch die Angebundenheit und die Verbundenheit mit Gott, den er Vater nennt, hatte er die Kraft und das Vertrauen, seinen Weg bis in den Tod und somit in die Kraft der Auferstehung gehen zu können. Beginnen wir nun, den letzten überlieferten Weg Jesus mit ihm zu gehen, um von ihm und an seinem Beispiel neu zu lernen, wie das Leben geht. Um von seiner Menschlichkeit und von seiner Göttlichkeit zu lernen, dass auch wir geborgen sind in der einen großen Wirklichkeit, die wir Gott nennen, und dass der Tod immer neu ins Leben führt.
Sascha Heinze SAC