Schon oft in den vergangenen Jahrhunderten befand sich die Kirche in einem desolaten Zustand. Franz von Assisi vernimmt 1205 in San Damiano den Auftrag: „Bau meine Kirche wieder auf“. Auch einige Jahrhunderte später befindet sich die Kirche in einem desolaten Zustand, wir schreiben das Jahr 1835. Vinzenz Pallotti gründet eine Gemeinschaft, um „den Glauben innerhalb der Kirche neu zu entfachen und zu vertiefen“ und „die grenzenlose Liebe Gottes allen Menschen auf der Welt weiterzugeben.“
Auch damals war es um den Zustand der Kirche nicht gut bestellt. Er gründet eine Gemeinschaft, weil er den Wert der Zusammenarbeit sieht. „Vernunft und Erfahrung zeigen uns, dass das Gute, wenn es vereinzelt getan wird, für gewöhnlich spärlich, unsicher und von kurzer Dauer ist und dass selbst die hochherzigsten Bemühungen der einzelnen zu nichts Großem führen, auch nicht im sittlich-religiösen Bereich, wenn sie nicht vereint geschehen und auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet sind“, so Vinzenz Pallotti. Er gründet eine Gemeinschaft, damit sie gemeinsam, effektiver, kreativer, den Glauben „neu entfachen und vertiefen“ können.
Menschen suchen immer wieder Gemeinschaft, um miteinander an einem Werk zu arbeiten. Wir haben es vor wenigen Tagen in der „Arbeitswoche“ hier im Haus wieder erlebt, wir erleben es in den Kursen, die in Gemeinschaft besucht werden. Zurzeit sind ein Kurs zum Schreiben von Ikonen und ein Pfarrgemeinderat hier bei uns. Wir erleben es in unserer konkreten Gemeinschaft hier im Haus der Stille. Gemeinschaft ist hilfreich und förderlich, um sich in Gemeinschaft entdecken und entfalten zu können und um einem gemeinsamen Ziel zu folgen und es zu verwirklichen. Um zu spüren: Was braucht die Gemeinschaft von mir, was braucht das Ganze von mir? Auch um zu spüren: Was braucht die Gemeinschaft der Kirche von mir, von uns, damit wir ihren Auftrag mit unseren Möglichkeiten unterstützen können?
Der Blick über unseren Tellerrand gehört zum Auftrag der Zusammenarbeit, was immer auch mit Netzwerkarbeit zu tun hat, dazu. Wir Menschen leben als soziale Wesen vom und im Miteinander. Und für jede und jeden von uns bleibt die Frage: Was möchte ich ins Leben bringen? Was ist mein Ausdruck des Lebens? Was ist meine Art zu leben?
Vinzenz Pallotti wollte „den Glauben neu entfachen und beleben“, und er wollte die Liebe verkünden. Seine Art, dies umzusetzen, bestand darin, auf Zusammenarbeit und Vielfalt zu setzen. Vielfalt in den Möglichkeiten der Tätigkeiten, Vielfalt in der Art, wie Menschen ihren Glauben leben, verbunden in einem Netzwerk Gleichgesinnter. Das italienische Wort „insieme“, „zusammen“, war sein Schlagwort. Das war sein Charisma. Wir finden es immer wieder in seinen Schriften. Pallotti hatte eine Vision von Vielfalt und Miteinander, ohne dabei in Widerspruch zu kommen und gehen zu müssen. Er konnte Gegensätze aushalten, integrieren, damit sie ein Ganzes geben.
Kirche und wir als Christinnen und Christen könnten hier ein Beispiel geben. Gegensätze integrieren, Widersprüche aushalten, Vielfalt in Einheit leben und zusammenarbeiten, damit etwas entsteht, gestaltet und kreativ neu wird. Lebensräume anbieten für alle. Gestaltungsmöglichkeiten anbieten, die niemanden ausschließen. Solche Räume, solche Angebote braucht unsere Gesellschaft, solche Räume und solche Angebote braucht unsere Kirche.
Kirche wird sich nur erneuern, wenn sie ein Raum für die Gestaltung des Lebens in seinen vielen Möglichkeiten wird. Wenn sie ein Raum wird, in dem reflektiert wird, wie Widersprüche, Gegensätze und Schatten ins Leben integriert werden können. „Vernunft und Erfahrung“, sagt Vinzenz Pallotti, sind nötig um ein brauchbares Bild für den Umgang mit der Realität zu bekommen. Vernunft und Erfahrung gehören zusammen, damit meine Erfahrung eine Unterstützung bekommt, wie ich sie deuten, einordnen und integrieren kann. Hier Räume und Möglichkeiten zu schaffen, das wäre ein Auftrag für Kirche heute, das ist ein Auftrag für uns als Haus der Stille, den wir weiterentwickeln und realisieren möchten.
„Jesus zog durch alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen, verkündete das Evangelium vom Reich und heilte alle Krankheiten und Leiden. Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben. Da sagte er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden!“
Lassen wir uns anrühren von der Erschöpfung der Menschen unserer Zeit, lassen wir uns anrühren von dem Ruf, Räume, Möglichkeiten neuen Lebens zu schaffen, zu öffnen und anzubieten. Damit die Botschaft Jesu vom Leben in Fülle immer wieder neu zur Realität im Leben von Menschen werden kann. Dies kann ein Weg sein, den „Glauben und die Liebe neu zu entfachen“, wie Vinzenz Pallotti es vorschlägt.
Sascha Heinze SAC
Beitragsbild: Walter Habdank, Der Heilige Vinzenz Pallotti / Logo der Pallottiner
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