In unserer gegenwärtigen Zeit sind wir und unsere Gesellschaften vor verschiedene Herausforderungen gestellt. Krieg in Europa, der Aufmarsch des Populismus und des Faschismus in verschiedenen Staaten der Welt, Flucht und Migration, mit deren Erscheinen uns von verschiedenen politischen Akteuren wieder Ängste suggeriert und Überforderungsszenarien erzählt werden, Herausforderungen in unserem Alltag, die wir bis vor kurzem so nicht kannten. Von wo kommt uns da Erlösung zu? Wo ist ein Erlöser, eine Erlöserin, welche uns aus dem vermeintlichen Elend unserer Zeit zu führen verstehen? Aus Unsicherheit und Ängsten, aus Ohnmachts- und Überforderungsgefühlen.
Vielleicht können wir uns in diesem Jahr mehr als sonst in die Situation der Menschen zur Zeit Jesu hineinversetzen, welche auf einen Erlöser aus ihrer Situation hofften und warteten. Er war ihnen über die Propheten und Weisheitslehrer ja auch verheißen worden. Einer, der das Volk rettet, einer, der die Herrscher entmachtet und einer, der die Gerechtigkeit Gottes herstellt.
Viele diffuse Bilder und Vorstellungen, wer oder was dieser Erlöser sei, wanderten auch damals durch die Zeit. Erinnern wir uns an den Beginn der Corona Pandemie, als von verschiedenen Seiten die Hoffnung gehegt wurde, die Pandemie, das Herunterfahren der Geschäftigkeit, die Abstands- und Verkehrsbeschränkungen, würden uns zu mehr Innerlichkeit, zu mehr Ruhe, zu mehr Sinn für das, was wirklich wichtig ist, führen. Manche Menschen mögen das so erlebt haben, viele hat es verunsichert, hat es in Enge und Einsamkeit und in Isolationsgefühle geführt. Und heute stehen wir wieder vor vermeintlichen und vor echten Krisen und sind auf die Frage, wie wir damit umgehen können, zurückgeworfen.
Warten auf einen Erlöser, auf eine Erlöserin? Eine Person, die uns das Heil zurückbringt? Eine Person, die uns von all den Problemen erlöst? Die Versuchung ist groß, und es mangelt auch nicht an Personen, die sich als diese Heilsbringer:innen anbieten, um unsere und meine Welt wieder in Ordnung zu bringen!.
„Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt. Bedenkt dies: Wenn der Herr des Hauses wüsste, in welcher Stunde in der Nacht der Dieb kommt, würde er wach bleiben und nicht zulassen, dass man in sein Haus einbricht. Darum haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.“
Unsere Aufgabe besteht darin, wach zu sein. Wach zu sein und uns aus unserer Lethargie, aus unseren Ängsten zu erheben. Uns nicht fesseln und nicht binden zu lassen von Ohnmacht und Hilflosigkeitsgefühlen. Aber nicht, um uns zu erheben, um mit Gewalt vermeintliche Lügen in der Gesellschaft zu bekämpfen, sondern zu erheben, um bereit zu sein zur Begegnung mit dem „Menschensohn“, „denn er kommt zu einer Stunde, in der wir es nicht erwarten.“
Wir sollen wach sein zur Begegnung und zum Ergreifen der Möglichkeit des Augenblicks, damit ich handlungsfähig und zu einer bewussten und wertigen Stellungnahme fähig werde. Jeder Augenblick meines Lebens fordert mich auf, Stellung zu beziehen. Jeder Augenblick meines Lebens gibt mir die Möglichkeit in die Hand, eine Entscheidung zu treffen, die für mich Sinn macht und Sinn schafft. In Situationen, die mir keine veränderbare Möglichkeit bieten, kann ich über meine Einstellung zu dieser Situation einen Umgang mit dieser Situation finden und verwirklichen, indem ich – wie Victor Frankl es nennt – zu einem „Einstellungswert“ komme. Einer Einstellung, die mir hilft, mit der Situation versöhnt zu leben. Denn weiterkommen werde ich und werden wir als Gesellschaft nur, wenn wir uns auf den Weg des Wachstums, des wachen und konstruktiven Auseinandersetzens mit der Wirklichkeit machen. Und nicht, wenn wir populistisch Ängste schüren, Ängsten unnötigen Raum schaffen und Handlungsmöglichkeiten nur in Abwehr, in Diffamierung und in Untergangsszenarien zu finden meinen.
„Der Menschensohn, (der Erlöser) kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.“ Advent, Erwartung, fordert uns auf, jeden Augenblick neu, wach und unerwartet, auf die Situation, auf den „Menschensohn“, der sich mir in jeder Situation zeigt, zu reagieren, Stellung zu nehmen, wach und mit meiner Option des Handelns zu begegnen. Der ägyptische Jesuit Henri Boulad schreibt: „Der christliche Glaube besteht in der Entdeckung Gottes im Menschen. Der Ort der Welt, an dem Gott gegenwärtig ist, ist der Mensch. Der Mensch ist der Tempel Gottes, der Tempel des Geistes. Und wenn der Tempel Gottes in Jerusalem zerstört worden ist, so nicht, um durch andere Tempel aus Stein ersetzt zu werden, auch wenn sie Kirchen genannt werden. Der Tempel ist seitdem der Mensch.“
Suchen und finden wir in dieser Adventszeit am Beispiel Jesu Gott in uns, Gott im Menschen, Gott in allem, was ist und was sich zeigt. Dann werden wir auch den rechten Umgang mit den vermeintlichen und den wirklichen Herausforderungen der Zeit lernen und bestehen, und so Erlösung finden. Ohne auf einen politischen Erlöser, eine Erlöserin, zu hoffen und warten zu müssen.
„Darum haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn, (der Erlöser) kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet“, „Seid also wachsam!“
Sascha Heinze SAC